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AutorenbildBarbara Bierach

Der Tee-Schock

Irland ist anders. Ziemlich anders. Was sich dem Medienmenschen bei der Betrachtung der eigenen Branche schnell erschließt. Unlängst wanderte ich in Ballina herum – die Hauptstadt des County Mayo mit 10 000 Einwohnern - und ging an der Redaktion der dort heimischen Zeitung „Western People“ vorbei. Es war ein Uhr nachmittags und an der Tür hing ein Schild: „Closed until 2.30“.

Der Rest der Publizistik weltweit versucht ständig, aktueller und schneller zu werden, um mit dem Internet mithalten zu können. Nicht im irischen Nord-Westen. Wenn hier die Mittagspause ansteht und der Magen knurrt, haben Politik, Wirtschaft und Kultur gefälligst den Atem anzuhalten, denn die Redaktion macht dicht. Was berichtenswert ist, ist das vermutlich auch noch nach halb drei, wenn der Redakteur zufrieden und gesättigt wieder am Schreibtisch sitzt. Hier herrscht ganz offenbar Gefühl fürs Wesentliche.

Der „Irish Independent“ - ein nationales Blatt – berichtet daher auch auf einer Viertel Seite von zwei beim Baden im Meer ertrunkenen Nonnen und doppelseitig über die Ergebnisse der irischen Pflugmeisterschaften. Dabei geht es um die Frage, wer mit dem schönsten Pferd oder Bullen die dollsten Dellen in ein Feld pflügen kann. Zu dieser bahnbrechenden Herausforderung ist sogar EU-Kommissar Phil Hogan angereist. Das Blatt interviewt jedoch nicht den, sondern Farmer David Pearson, der mit einer Kuh namens Hanky-Panky einen Preis gewonnen hat. Der Bauer erklärt nun genau, wie er sie für Wettbewerbe shamponiert, trocken fönt und wachst, damit ihr Haar genug „Va-va-voom“ hat. Ich fürchte, mit meinem Schopf hat sich noch nie jemand so eingehend befasst wie mit dem einer irischen Preiskuh. Vermutlich gewinne ich deswegen auch nie Preise.

Dieser Bericht steht übrigens nicht im Vermischten, sondern im Nachtrichtenteil.

Dort steht eine Seite weiter auch, das es hier einen Taoiseach gibt. Gesprochen wird das Tea-Shock. Das ist mitnichten die Krankheit, die einen befällt, wenn man zu viel von dem schwarzen, starken irischen Tee trinkt, der hier bei allen Gelegenheiten offeriert wird. Nein, das ist der Regierungschef der Republic of Ireland in Dublin. In den späten 1970er Jahren diente in der Funktion ein gewisser Charles Haughey und als der Pabst 1979 in Irland zu Besuch kam, fragte dieser Haughey beim Krimiautoren Frederick Forsyth („Der Schakal“) an, wie man den Heiligen Vater denn ab besten vor Anschlägen beschützen könnte. Daraufhin wurden die beiden dicke Freunde. Und als Forsyth, der ab 1980 in Irland lebte, sich seinerseits bei Haughey erkundigte, wie er seine Söhne vor Entführungen durch die IRA schützen könnte, gab ihm der Tee-Schock sein persönliches Ehrenwort, dass den Kids nichts passieren würde.

Daraus kann man nur schließen, dass Haughey bei den IRA-Terrortruppen bestens verdrahtet war, um es mal vorsichtig auszudrücken. Das ist ungefähr so, als wenn Bundeskanzler Helmut Schmidt einem nach Deutschland umgezogenen Forsyth in den frühen 1980er Jahren versprochen hätte, das die RAF die Finger von seiner Familie lassen würde. In Deutschland würde so eine Meldung Geschrei auslösen - hier werden die Verbindungen zwischen Politik und Terrororganisation einfach zur Kenntnis genommen. Vermutlich, weil alle so daran gewöhnt sind.

Das Thema IRA und ihre Nachfolgeorganisationen beschäftigt mich ohnehin. Einerseits, weil ich gerade an meinem ersten Krimi arbeite, der hier in Irland spielt. Und IRA-Leute sind erstklassige Verdächtige. Finster, schweigsam, undurchdringlich. Andererseits, weil das Thema IRA trotz Friedensabkommen vom Karfreitag 1998 keineswegs gut abgehangene Geschichte ist.

So wollte die Provisional IRA – die offiziell als militante Truppe gar nicht mehr existiert – den mutmaßlichen Mehrfachmörder Jock Davison im Sommer 2015 zu ihrem Chef machen, worauf hin der prompt erschossen wurde. Den Befehl dazu soll ein Kevin McGuigan gegeben haben – weil Davison ein Spion der Briten gewesen sein soll, der dafür sorgen sollte, dass die Provisional IRA Frieden hält und die Finger von den Bomben lässt. McGuigan ist inzwischen auch ermordet worden. Offiziell hat die IRA 2005 übrigens alle Waffen abgegeben. Kleine Wunder also, dass die hier nicht Politiker interviewen, sondern lieber Kühe shamponierende Bauern.

Irland ist anders. Ziemlich anders.


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